Der Weg zum Frauenwahlrecht
Als die Frauen in Luxemburg 1919 politisch den Männern gleichgestellt werden, geschieht dies recht unverhofft. Kaum jemand tritt zuvor für diese Gleichstellung ein – wahlberechtigt sind nach dem geltenden Zensuswahlrecht nämlich nur vermögende Männer. In den Nachbarländern engagieren sich die Frauen dagegen seit dem 19. Jahrhundert für ihre Rechte.
Die Frauen organisieren sich
1906 entstehen zwar die ersten beiden Luxemburger Frauenorganisationen, die sich mit der Lage der Frauen befassen: der „Verein für die Interessen der Frau” und der „Luxemburger Katholische Frauenbund”.1 Doch die Forderung nach dem Frauenwahlrecht stellen sie nicht. Der bürgerliche „Verein für die Interessen der Frau” setzt sich ein für die Berufstätigkeit der Frau oder soziale Fragen, besonders aber für die Errichtung eines Mädchengymnasiums. Obwohl er mehrmals Konferenzen zum Thema Frauenwahlrecht organisiert, bezieht er selbst keine Position zu dieser Problematik.2 Beim katholischen Verein seinerseits wird die Ausrichtung von der größten Tageszeitung, dem Luxemburger Wort vorgegeben. Diese äußert sich 1905 skeptisch zum Frauenwahlrecht:
„Dagegen ist ihnen politische Gleichberechtigung verwehrt, und diese wird ihnen wohl sobald noch nicht zugestanden werden, weil die Organisation eines Staates, in dem Mann und Frau die gleichen politischen Rechte haben, der Natur widersprechen würde.“ 3
Die Arbeiterbewegung kämpft für das Wahlrecht
Für die Arbeiterbewegung dagegen ist das Wahlrecht für Frauen und Männer zunächst eine wichtige Forderung. Bereits 1902/1903 fordern die Frauen und Männer des “Sozialdemokratischen Lese- und Diktierklub” gemeinsam das “allgemeine” Wahlrecht – und meinen damit ausdrücklich auch die Frauen. 1905 reicht die Sozialdemokratische Arbeiterpartei erstmals eine Petition für das Frauenstimmrecht im Parlament ein. Sie ist somit die einzige politische Kraft, die für das Frauenwahlrecht eintritt.4
Ab 1912, als die verschiedenen sozialistischen Strömungen geeint als “Sozialistische Partei Luxemburgs” antreten, gerät die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht jedoch zum reinen Lippenbekenntnis. Es kommt auch nicht zu einer strukturierten proletarischen Frauenbewegung. Derweil in anderen europäischen Staaten ab 1911 jeweils zum Internationalen Frauentag für das Frauenwahlrecht demonstriert wird, findet ein solcher in Luxemburg nicht statt.5
Erst gegen Kriegsende, als eine tiefgreifende Verfassungsreform in die Wege geleitet wird, wird die sozialistische Partei wieder aktiver und spricht sich für das Frauenwahlrecht aus. Vor allem die sozialistischen Frauen mobilisieren mit Informationsversammlungen und Artikeln. Auf Initiative von Jeanne Meyer-Heucké, Marguerite Hey-Fink und Marguerite Mongenast-Servais wird im Juni 1918 sogar eine Unterschriftensammlung an die Abgeordnetenkammer gerichtet.6
Verfassungsreform und Frauenwahlrecht
Ab Juni 1918 beginnen die parlamentarischen Arbeiten zur lange geplanten Verfassungsreform. Dabei kommt Anfang 1919 auch das Wahlrecht auf die Tagesordnung. Zwar treten alle Parteien für das Prinzip des allgemeinen Wahlrechts ein, doch das Frauenwahlrecht wird nur von den sozialistischen und konservativen Abgeordneten unterstützt. Die Liberalen dagegen sträuben sich bis zum Schluss und wollen den Frauen vorläufig nur das Gemeindewahlrecht zugestehen. Doch am 8. Mai wird das aktive und passive Wahlrecht für Frauen und Männer mit 39 gegen 11 Stimmen bei einer Enthaltung angenommen.7
Damit gehört Luxemburg zu den europäischen Ländern, in denen das Frauenwahlrecht verhältnismäßig früh eingeführt wird.8 Insgesamt ist das Frauenwahlrecht ist aber wohl eher taktische Verhandlungsmasse in der parlamentarischen Debatte denn das Resultat einer tiefgreifenden politischen Auseinandersetzung.
Schon für Oktober 1919 stehen die ersten Parlamentswahlen nach dem Prinzip des allgemeinen Wahlrechts an. Insgesamt kandidieren dabei vier Frauen. Auf der sozialistischen Liste wird im Zentrum die Lehrerin Marguerite Thomas-Clement gewählt – Luxemburgs erste Abgeordnete.
1 Renée Wagener, Politische Partizipation von Frauen in Luxemburg seit 1919, Luxembourg 1998, S. 22f.
2 Goetzinger, Germaine, Der ‚Verein für die Interessen der Frau‘ oder Bürgerliche Frauenbewegung in Luxemburg, in Germaine Goetzinger, Antoinette Lorang, Renée Wagener (Hrsg.) “Wenn nun wir Frauen auch das Wort ergreifen…”, Luxembourg 1997, S. 63-79.
3 Luxemburger Wort vom 19.12.1905, S. 1 zitiert nach Renée Wagener, “…wie eine frühreife Frucht”. Zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Luxemburg, Luxembourg 1994, S. 39.
4 Madeleine Engel, Die Geschichte des Frauenwahlrechts in Luxemburg, Schriftliche Hausarbeit im Rahmen der Ersten Staatsprüfung für das Lehramt für die Sekundarstufe II, Köln 1991, S. 34.
5 Renée Wagener, „Die Macht des Stimmzettels“. Die Einführung des Frauenwahlrechts in Luxemburg, in: Bettina Bab, Gisela Notz, Valentine Rothe, Marianne Pitzen (Hrsg.), „Mit Macht zur Wahl. 100 Jahre Frauenwahlrecht in Europa“ Band 1, Bonn 2006, S. 118.
6 Renée Wagener, Bye bye, Siegfried. Der lange Abschied der Luxemburger Frauen vom Patriarchat, in: „Not the girl you’re looking for. Melusina Rediscovered“, Luxembourg 2010, S. 220.
7 Mady Engel, Renée Wagener, Die Einführung des Frauenwahlrechts in Luxemburg, in: Germaine Goetzinger, Antoinette Lorang, Renée Wagener (Hrsg.) “Wenn nun wir Frauen auch das Wort ergreifen…”, Luxembourg 1997, S. 90-92.
8 Renée Wagener, “…wie eine frühreife Frucht”. Zur Geschichte des Frauenwahlrechts in Luxemburg, Luxembourg 1994, S. 11.